Meine Stute Messa hat gerade keine Lust auf näheren Kontakt mit mir. Sie berührt mich zwar sanft mit ihrer Nase, aber jeder engeren Annäherung weicht sie aus. Ich komme mit dem Striegel, um ihr das Winterfell auszubürsten – sie wendet sich ab. Ich möchte ihr die Hufe auskratzen – sie geht. Damit ich diese Dinge mit ihr tun kann, muss ich ihr ein Halfter anlegen. Aber eigentlich will sie auch nicht aufgehalftert werden. Und ich möchte diese Dinge auch in Freiheit mit ihr tun können.
Frustriert denke ich, „es ist zwecklos, ihre Mitarbeit zu erzwingen.“ Ich schaue ihr einfach nur zu und frage mich:
Dürfen Pferde einfach nur Pferde sein? Müssen Pferde irgendeinen Zweck erfüllen, damit sie bei und mit uns leben dürfen? Zum Beispiel reiten, fahren, uns in vielen Arbeitsfeldern dienen, uns ernähren, ihre Weisheit zur Verfügung stellen, uns Menschen trainieren. Ist ein Pferd auch dann ein Pferd, wenn es nur Pferd ist und keinem menschlichen Zweck (mehr) dient?
Ich erkenne, dass ich – wie so viele andere Pferdebesitzer auch – in genau dieselbe Falle tappe, wenn sich das Zusammensein mit Pferden dem Zweck unterordnet. Dabei möchte ich mein(e) Pferd(e) so wenig wie möglich für meine eigenen ichbezogenen Pläne/Zwecke missbrauchen. Ich nehme mir vor, dass ich mich bemühe, einfach nur das Da-sein meines Pferdes wertzuschätzen!!!
Während ich Messa und meine anderen Pferde beobachte, schweifen meine Gedanken weiter: darf ein Mensch nur Mensch sein? Muss ein Mensch einen Lebenszweck erfüllen, um leben zu dürfen? Darf ich als Mensch auch vollkommen zwecklos auf der Welt sein? Einfach nur leben. Ohne Sinn und Zweck, der nur von meinem Ego kreiert wird. Ein Haus bauen, sich ein tolles Auto leisten können, das neueste Handy kaufen. Wir könnten auf viele Dinge in unserer Konsumwelt verzichten, wenn wir uns eine einfache Frage stellen: dient es uns, damit wir unser Leben leben können oder hat es einen bestimmten Zweck?
Geht das – zu leben und seine Talente und Fähigkeiten dem Leben zur Verfügung zu stellen und nicht einem von Menschen vorgegebenem Zweck zu folgen? Arbeiten, weil die Arbeit Spaß macht, statt die Arbeit dem Zweck des Geldverdienens unterzuordnen. Arbeit als sinnvolle Tätigkeit, um dem Leben eine Chance zu geben, durch die Menschen zu wirken. Biete ich Workshop’s an, weil ich Geld verdienen möchte, oder weil ich einfach Freude an dem habe, was ich tue? Und kann ich mir dafür selbst Wertschätzung geben?
Ich hebe meinen Blick und sehe, dass sich meine Herde um mich versammelt hat. Einfach so. Ohne Zweck. Ich atme tief durch und fühle mich aufgehoben. Ich muss nichts tun, um Teil der Herde zu sein. Ich darf mit ihnen SEIN und spüre eine tiefe Zufriedenheit, ein Aufgehobensein im Leben und in seiner zweck-losen Fülle!!!