Oft gibt es keine Worte für die Gefühle, die Pferde in uns wecken für ihre Größe, für ihre unendliche Geduld, für ihre unermüdlichen Versuche, uns zu berühren. Uns dorthin mitzunehmen, wo unser eigentlicher Platz ist: als Teil der Schöpfung, als Teil der Natur, als Teil des großen Netzes, in dem alle verbunden sind und niemand allein ist.
„Pferde sind spirituelle Wesen.“ Wenn das jemand vor zehn Jahren zu mir gesagt hätte, hätte ich milde gelächelt und gedacht, dass Pferdemenschen doch ganz schön verrückt sein können. Heute denken sich das sicher manche heimlich, wenn sie mich reden hören. Inzwischen habe ich acht Jahre lang zahllose Workshops in der pferdegestützten Persönlichkeitsentwicklung mit zahllosen Pferden in drei Sprachen abgehalten. Ich habe gelernt, dass alles, was wir mit Pferden tun, ob wir reiten, Pferde ausbilden oder mit ihnen spazieren gehen, mit unserer inneren Haltung ihnen gegenüber zu tun hat. Damit, wie wir sie sehen. Heute, nachdem Pferde mich immer und immer wieder von jedem Sockel gestoßen haben, den ich mir mit meinem tollen Wissen und meiner tollen Erfahrung gebaut habe, komme ich nicht selten in der Sprachlosigkeit an.
Weil ich all das in der Zwischenzeit lernen durfte, erscheint es absurd, dass wir sie unterwerfen wollen, sie zu maßregeln oder sie mit einer Methode zum Funktionieren zu bringen. Man darf mich jetzt für verrückt halten und spirituell abgehoben, und ich verstehe es. Ich kann aber jedem versichern, dass ich mir das alles nicht ausgedacht habe, sondern dass es Pferde waren, die mir das alles gezeigt haben.
Ich arbeite häufig mit Pferdeherden, in einer Situation, wo Pferde selbst entscheiden können, ob sie sich beteiligen wollen an einer Begegnung mit dem Menschen oder sich lieber dem nächsten verlockenden Grashalm hingeben. Übrigens nimmt jedes Pferd, (fast) unabhängig von seiner Lebensweise, diese Art von Beziehung auf, die ich gleich beschreiben werde. Aber bei Pferden, die sich frei entscheiden können, haben wir den „Beweis“, dass sie es freiwillig tun. Eine Verbindung herzustellen ist die Natur der Pferde. Sie stellen diese Verbindung nicht nur zu uns Menschen her, sondern zu allem, zur Katze, zur Ameise, zum Baum oder auch zum Mond. Wir leben in einer Welt, in der alles energetisch verbunden ist.
Aus dem Leben gegriffen
Jessica (Name von der Redaktion geändert) sagte mir, dass sie schon ihr Leben lang darunter leide, zu sensibel zu sein. Wenn sie von anderen Menschen angesprochen wird, zuckt sie innerlich zusammen, weil ihr alles zu laut und zu aufdringlich erscheint. Deshalb hat sie sich ein maskenhaftes Verhalten zugelegt, das aber nicht authentisch ist, und deshalb fühlt sie sich oft einsam. Ihre Mitmenschen beschweren sich häufiger, dass sie verschlossen sei und abweisend.
Ich gehe mit Jessica in die Herde und lade sie ein, das maskenhafte Verhalten fallen zu lassen. Ihr wird bewusst, dass das gar nicht so leicht ist, weil es schon zur zweiten Natur geworden ist. Die Pferde haben uns wahrgenommen, das eine oder andere hebt den Kopf oder dreht ein Ohr. Ich gebe Jessica ein paar Tipps, wie sie aus der falschen Haut herauskommt. Das hat hauptsächlich damit zu tun, bei sich selbst anzukommen, im Körper, im Hier und Jetzt. Dann bitte ich sie, ihr sensibles Ich einzuladen und ihm Raum zu geben. Das ist nur möglich, weil dieser sensible Teil von ihr während des Workshops genügend Vertrauen gewonnen hat, nicht verletzt zu werden, wenn er sich zeigt. Eines der schlimmsten Dinge, die wir Menschen uns gegenseitig antun, passiert, wenn wir uns in unserer Verletzbarkeit zeigen und dann dafür durch Zurückweisung oder Kritik bestraft werden. Ein Pferd würde so etwas nie tun, im Gegenteil: Wenn wir verletzbar sind, sind wir authentisch, und dann finden wir die Verbindung zu den Pferden.
Jessica fühlt als Erstes den Schmerz, dass sie sich nicht so zeigen kann, wie sie ist, weil sie zu oft dabei verletzt wurde. Das Urteil der anderen hat sie schon verinnerlicht und ein Teil von ihr sagt: „Sei nicht so verdammt zimperlich“, während der andere Teil von ihr einfach nur traurig und ohnmächtig ist. Sie setzt sich auf die Weide in einer erstarrten Haltung.
„Wenn du jetzt nicht da wärst, würde ich die nächste Stunde so sitzen bleiben und nichts würde passieren“, sagt sie zu mir. Um mit den Pferden in Kontakt zu kommen, müssen wir im Hier und Jetzt sein. Etwas, das Jessica nicht kann, weil sie sich innerlich verabschiedet hat. Wir alle tun das, um dem Schmerz auszuweichen.
Pferde sehen verborgene Gefühle
Die Pferde grasen friedlich. Topsi, ein Pony, das dafür bekannt ist, sehr wählerisch im Umgang mit Menschen zu sein, stellt hin und wieder ein Ohr auf in Jessicas Richtung. Ich ermuntere Jessica, ihren Fokus auf das zu richten, was am meisten wehtut: dass sie das, was sie ist, nicht sein darf. Die Pferde und die Natur allgemein gehen nämlich nur auf eines ein: auf das Authentische. Nur in dieser Authentizität kann Verbindung stattfinden.
Jessica ist schließlich bei ihrem Schmerz angekommen. Und das, was ich immer wieder als ein Wunder erlebe, passiert. Topsi kommt auf Jessica zugelaufen und legt ihr das Maul auf die Schulter. Das wählerische Pony ist wie Jessica ein sehr sensibles Wesen und findet den Lärm der Menschen oft zu laut. Die beiden haben sich gefunden, nicht durch äußere Handlung, sondern in der inneren Schwingungsfrequenz, oder wie immer man das nennen mag, ihres Wesens. In ihrem inneren Sein, jetzt im gegenwärtigen Augenblick. Dadurch wird eine innere Tür zu einer tiefen Verbindung geöffnet. Beide, Jessica und Topsi, scheinen gemeinsam in einem wunderschönen Gefühl und Bewusstsein versunken zu sein. Topsis Mähne bewegt sich im Wind. Ich lasse die beiden allein und sehe aus dem Augenwinkel, dass sie nach einer Viertelstunde immer noch genauso dastehen.
Von Pferden können wir wieder lernen, wie sich echte Liebe anfühlt. Denn was ist wahrhaftige Liebe anderes als dieses gegenseitige SichSehen, SichglücklichMachen, weil man das, was man ist, mit einem anderen teilt?
Was hat das alles mit Spiritualität zu tun? Ein spiritueller Weg ist ein Weg in eine tiefe authentische Liebe und Verbundenheit mit allem Sein. Ein spiritueller Weg hat nicht mit Funktionieren zu tun. Mit Disziplin ja, aber die Disziplin richtet sich darauf, zu lernen, im Hier und Jetzt zu sein, authentisch zu sein. Deshalb war der Weg mit Pferden nie ein leichter Weg, weil er uns auf uns selbst zurückwirft. Weil Pferde uns das zeigen, was wir nicht so sehr an uns mögen. Wenn wir den Mut haben, diesen Weg zu gehen, werden wir jedoch reich belohnt. Wenn wir erst einmal erlebt haben, wie ein Pferd auf unser authentisches Sein antwortet, wie tief es antwortet, wie fein es antwortet, dann erkennen wir, wie weit und umfassend das Bewusstsein der Pferde ist und was wir verloren haben auf dem Weg in unsere Zivilisation, auf dem wir Pferde zu gefühllosen Wesen erklärt haben. In dem Moment, in dem wir es erkennen, finden wir den Weg zurück und alles wird besser.
Wo Energie fließt, entsteht Magie
Ich möchte hier noch eine faszinierende Geschichte erzählen, die ich mit einer Herde fast wild lebender Pferde im Baskenland erlebt habe. In dieser Geschichte geht es nicht um einen einzelnen Menschen, sondern um eine Gruppe Menschen. Ich war eingeladen von Brigitte Crouzot, einer Pferdefrau und Heilerin, die abseits von der Zivilisation in den Bergen lebte, mit einer Herde fast frei lebender Pferde aus der Region, zwei Eseln und einem Maultier. Die Pferde hatten Futterstände, konnten sich aber bewegen, wohin sie wollten, denn das Gelände war nur teilweise eingezäunt. Der Workshop mit zwölf Französinnen, zu dem ich eingeladen worden war, war eine meiner größten Herausforderungen als Persönlichkeitstrainerin mit Pferden. Die Pferde waren gern in der Nähe der Menschen, aber nur, wenn die Menschen authentisch und präsent waren. Wenn nicht, verschwanden sie geschlossen in den Wäldern, wo man sie nicht finden, aufhalftern und zurückholen konnte.
Als ich sie das erste Mal verschwinden sah, war ich am Ende meiner Kunst angekommen. Was konnte ich anderes tun, als mich und die Gruppe in die größtmögliche authentische Präsenz zu bringen? Es war wie ein Wunder, dass die Herde dann jedes Mal wie aus dem Nichts am Waldrand erschien und oft eines der Pferde oder ein Esel auf direktem Weg auf den Menschen zuging, der gerade am meisten mit sich kämpfte.
Zu dieser Herde gehörte auch ein Schimmelwallach, mehr als dreißig Jahre alt. Sein äußeres Erscheinungsbild erweckte auf den ersten Blick Mitleid oder auch Besorgnis, er war recht dünn und eingefallen. Ich wusste, dass Brigitte gut für die Tiere sorgte, und ich konnte in seinen Augen sehen, dass sein Geist sehr lebendig war.
Einmal, als wir als Gruppe zusammenstanden, kam er zu uns und platzierte sich in unserer Mitte. Es sah aus, als wolle er von uns gekrault werden, und das taten dann auch einige von uns, was er genoss.
Er bewegte sich dabei immer wieder einen Schritt nach vorn, und ich dachte, dass er uns damit zeigen wollte, wo er berührt werden will. Aber darum ging es ihm nicht, das merkte ich nach einer Weile. Er hatte etwas Bestimmtes im Sinn. Nur was? In solchen Fällen frage ich dann einfach: Was passiert denn gerade? Was passierte war, dass er definitiv unsere Aufmerksamkeit gewonnen hatte. Wir bewegten uns mit ihm. Er bewegte sich aber nicht nur vorwärts, sondern auch seitwärts und auf Einzelne von uns zu, so als wolle er uns einsammeln und zusammenbringen. Was ihm auch gelang. Irgendwann standen wir alle um ihn herum versammelt, von Kopf bis Schweif, und ich dachte: Er hat es sich gemütlich gemacht in einer Gruppe ihm wohlgesinnter Frauen, eingehüllt von weiblicher Energie. Wir standen dort, ein wenig andächtig, und plötzlich geschah etwas Magisches, wofür man mich jetzt wieder für verrückt halten kann. Von diesem betagten Wallach ging ein strahlendes Licht aus, das auf uns ausstrahlte und uns einhüllte. Eine von uns erwähnte es schüchtern und die anderen nickten heftig. Es war, als würde sich der ganze Körper dieses Pferdes in Licht verwandeln. Ein Licht, das nicht nur Helligkeit war, sondern das aus einer Schwingung bestand, die Liebe und Gemeinschaft und Stille und Harmonie ausstrahlte. Es war, als wolle er uns vermitteln, was er in seiner Herde lebte: diese tiefe Verbundenheit und als hätte er uns Menschen hier versammelt, um uns das zu zeigen. Und genau das geschah: Wir alle, wie wir um dieses Pferd herumstanden und es berührten, fühlten diese friedliche Gemeinschaft, dieses „Verbundensein“, als wären wir selbst eine Herde Pferde. Wir erfuhren, dass echte Gemeinschaft sich genau so anfühlt. Dass sie nicht so viel mit Regeln und dem richtigen Benehmen zu tun hat, sondern mit diesem warmen Licht, das von diesem Wallach ausging, mit dieser Energie, die alle Zellen unseres Körpers aktivierte und uns fühlen ließ, dass wir energetisch nicht wirklich getrennt sind. Es war eines der Erlebnisse, die ich nie vergessen werde. Nachdem er fühlte, dass seine Botschaft bei uns angekommen war, löste er sich aus unserer Mitte und ging zurück zu seiner Herde.
Ich kann in einem Artikel nicht vermitteln, was alles passiert, wenn man erst einmal diese Wahrnehmung der Pferde zulässt. Aber was ich jedem sagen möchte: Wenn du so etwas wahrnimmst und denkst, du bist verrückt, dann bist du es wahrscheinlich nicht. Dann hat sich gerade für dich ein Tor zum Pferdebewusstsein geöffnet.