Auszug aus dem gleichnamigen Buch.
Mein Pferd Dagfari hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, in den ersten Minuten des Warmreitens im Schritt immer wieder stehenzubleiben und die ‚Pinkel-Stellung’ einzunehmen. Doch es kam nichts. Auf diese Art und Weise konnte er ein paar Minuten Pause lukrieren. Früher betrachtete ich dieses Verhalten als Unart und löste das Problem, indem ich Dagfari einfach weiter trieb. Heute betrachte ich diese Eigenart aus einem völlig anderen Blickwinkel.
Dagfari war Anna für die Reitstunde zugeteilt. Schon in der ersten Runde stoppte er und stellte sich zum Pinkeln auf. Geduldig nahm Anna den leichten Sitz ein und wir warteten, allerdings vergeblich. Also ritt sie wieder an und versuchte, die angesagten Bahnfiguren umzusetzen. Es fiel ihr sehr schwer, den Bewegungsfluss aufrechtzuerhalten, denn Dagfari hatte andere Pläne. In jeder Runde trug er mindestens einmal zum Pinkeln an.
Ich bemerkte, dass Anna immer ungeduldiger wurde, schließlich fragte sie mich genervt:
„Was hat er denn heute? Warum geht er nicht vorwärts?“
Ich fragte zurück:“ Was hast du denn heute? Was geht dir an die Nieren?“
„Alles“, kam es frustriert zurück. „Ich muss die Abi-Aufgaben korrigieren und wir haben heuer viel weniger Zeit dafür, als sonst! Das setzt mich ziemlich unter Druck!“
Dagfari senkte den Kopf und schnaubte ab.
„Und wie gehst du mit diesem Druck um?“ fragte ich weiter.
„Ich weiß nicht …“, kam es zögernd und ich wartete. Ich sah, wie es in ihr arbeitete.
Endlich hatte sie gefunden, was sie suchte:
„Ich habe einen Schüler, der gerade mal soviel macht, dass es fürs Durchkommen reicht. Ich wollte aber, dass er beim Abi mit besseren Noten abschneidet und habe ihn entsprechend unter Druck gesetzt.“
„Warum?“ fragte ich nach.
„Damit seine beruflichen Chancen besser sind … aber auch“, gab sie zu, „weil ich nicht wollte, dass sich seine schlechten Noten auf den Notendurchschnitt der ganzen Klasse negativ auswirken. Aber dann erkrankte der junge Mann am Pfeifferschen Drüsenfieber und seitdem habe ich ein ganz schlechtes Gewissen, wenn ich jemandem Druck mache oder machen soll!“
Ihr Glaubenssatz, der ihr im Weg stand, lautete:
„Ich glaube, dass Druck Stress macht. Stress macht krank und dafür möchte ich nicht verantwortlich sein.“
Während sie mir das erzählte, leckte und kaute Dagfari und schnaubte immer wieder ab. Anna war bei ihrem authentischen Gefühl angelangt und hatte ihr Hindernis wahrgenommen.
Ich fragte sie nun:
„Hat nicht jeder Mensch – und auch dein Pferd – die Freiheit zu entscheiden, wie es mit diesem Druck umgeht? Krank zu werden ist eine Möglichkeit. Aber dein Pferd könnte auch einfach nur stehenbleiben, buckeln, davonrennen. Oder aber auch es einfach als das nehmen, was es ist, nämlich eine Aufforderung, ein bischen schneller zu gehen. Kannst du dir vorstellen, es unter diesen Gesichtspunkten noch mal zu probieren?“
Anna konnte. Von da an verzichtete Dagfari auf seine ‚Pinkel-Pausen’ und legte ein flottes Tempo vor.
Dieses Erlebnis zeigt dir, wie Glaubenssätze dir im Weg stehen können. Die Pferde versuchen ständig, sich uns mitzuteilen. Meistens sind wir aber so darauf fixiert, das zu glauben, was sie vermeintlich ‚sagen’, dass wir die tatsächliche Botschaft nicht verstehen.